Aktuelles aus dem Stammesleben
Aktuelles aus dem Stammesleben
Wildwest im Schwarzwald
Norbert, Eric und Martin gingen im September im Schwarzwald auf Fahrt. Eric hatte über den legendären Westweg gelesen, dass dieser streckenweise fernab jeder Zivilisation verläuft. Ein idealer Wanderweg für uns Pfadfinder, dachte er sich und lud seine Altersgenossen zu einer Tour dorthin ein. Und tatsächlich sollten die drei auf ihrer Fahrt echte Wildnis finden.
Am späten Abend des 22. September waren wir in Forbach angekommen. Durch schmale Straßen stiegen wir einen steilen Hang hinauf, bis wir an einer kleinen Marienkapelle den Rand des Ortes erreichten. Hier plätscherte eine Quelle vor einer saftig grünen Wiese. Zwischen den hoch gewachsenen Rhododendren wollten wir campieren. Zuvor stiegen wir noch einmal in das tiefe Tal hinab. Wir wollten diese riesige überdachte Holzbrücke sehen, die sich in fast 40 m als Wahrzeichen der Stadt über die Murg spannt. Ein wahrlich imposantes Bauwerk und ein Meisterwerk der Zimmererkunst. Unser nächtlicher Spaziergang führte uns an die Pfarrkirche St. Johannes und an schmucken Schwarzwald-Häuschen mit Holzschindel-bedeckten Fassaden vorbei. Als wir an unserem Schlafplatz an der Maria-Hilf-Kapelle in die Schlafsäcke schlüpften, sahen wir hinter Wolkenschleiern den Mond über dem gegenüberliegenden Talhang aufgehen.
Während wir am nächsten Morgen unsere Zahnbürsten unter die Quelle hielten, zogen schon die ersten Wanderer an uns vorbei. Wir folgten ihnen nach dem Frühstück zur Schwarzenbach-Talsperre hinauf. Der Weg führte zunächst steil bergan. Am Wegesrand sahen wir immer wieder für‘s Murgtal typische Heuschober auf den Wiesen stehen. An einer Weggabelung rastete ein deutsch-französisches Wanderpaar, das uns am Morgen schon freundlich gegrüßt hatte. Wir kamen ins Gespräch, tauschten uns über unsere bisherigen Wanderziele aus und gaben Geheimtipps und Anekdoten aus unserem Erfahrungsschatz weiter. Neben der freundlichen Bekanntschaft hatte es uns bei dieser Rast die kleine Hütte am Wegscheid angetan. Im Obergeschoss der Holzhütte war ein Schlafboden eingerichtet, unten lagen Bücher, Zunder und Streichhölzer für die Gäste parat. Ein einladender Ort - wären wir doch gestern Abend noch bis hierhin aufgestiegen, sagten wir uns. Jede folgende verglichen wir nun mit der vorzüglichen Einrichtung dieser Hütte.
Bald führte der Weg wieder bergab. Am Wegesrand entdeckten wir Blutreizker. Wir pflückten reife Brombeeren und ab und an bot sich eine Quelle zur Erfrischung an. Die Talsperre ließen wir links liegen und stiegen dafür lieber stramm die Badener Höhe hinauf. Kurz vor dem Gipfel ließen wir das Gepäck am Wegesrand liegen und schlugen uns in die Büsche. Wir hatten große Blaubeeren entdeckt und sagten uns: „Es wäre eine Sünde die hängen zu lassen.“ Die Blaubeerbüschel waren noch über und über mit Beeren behangen. Das reinste Schlaraffenland! Eric war so eifrig beim Pflücken, dass er dem am Wegscheid kennen gelernten Paar auch eine Handvoll Beeren abgab.
Auf dem Friedrichsturm auf der Badener Höhe genossen wir eine fantastische Aussicht auf die Mittelgebirgszüge des Schwarzwalds. Einige Wochen zuvor waren auch schon unsere Teilnehmer des Bundeslager auf diesen Turm gestiegen. Wir konnten nun von dort oben anhand des Gipfelpanoramas den weiteren Verlauf des Westwegs bestimmen.
Am späten Nachmittag richteten wir unser Nachtquartier an der Skihütte einer Studentenverbindung ein. Aufgund der Hanglage hatten wir einen großartigen Blick ins Tal, in das die untergehende Sonne langgezogene Schatten warf. Bevor wir unser Abendessen zubereiteten, streiften wir auf der Suche nach Pilzen und Beeren durch den Wald. Doch der Streifzug war von wenig Erfolg gekrönt. Ein Kochgeschirr-Deckel voll Blutreizker und einer voll Blaubeeren sollte dennoch eine gute Beigabe zu unserem Abendbrot werden. Während wir unsere Mahlzeit zubereiteten, schreckte uns ein seltsamer Ruf auf. Ein Auerhahn vermuteten wir. Der soll am Hochkopf sein Revier haben.
Das Frühstück vor der Skihütte geriet am nächsten Morgen zum Genuss. Wir nahmen auf einer Art Liegebank Platz und blickten fasziniert zu Tal. Dort bedeckte noch dichter Nebel die Orte. Nur eine Kirchturmspitze schaute aus der Wattedecke heraus. Der Westweg führte uns hinab in den Skiort Unterstmatt. Von dort sollten wir durch dunklen Tannenwald den höchsten Bergrücken des Nordschwarzwalds erklimmen. Die langgestreckte Hornisgrinde ist eine nahezu kahle Bergkuppe, auf der sich im Mittelalter durch intensive Beweidung Hochmoorflächen bilden konnten. Diese Vegetation konnte sich auch entwickeln, weil die Hornisgrinde zu den niederschlagsreichsten Orten Deutschlands zählt. Die Wolken, die von Frankreich heranziehen, schütten ihre Regenlast an den Hängen dieses Berges ab. Wir aber durften uns über bestes Sonnenwetter freuen und von hier oben weit ins Land blicken. Über der Umgebung lag noch immer Morgendunst, wodurch die sanft geschwungenen Höhenzüge des Schwarzwalds, wie ein Wellenmeer unter uns lagen.
Schon auf diesem Bergrücken herrschte spürbar mehr Betrieb. Denn wir näherten uns dem bekannten Mummelsee. Der dunkle Karsee gehört zu den Touristenattraktionen des Schwarzwalds. Einer Sage nach lebten einst Nixen in dem mystischen See. Für uns bot der See eine willkommene Gelegenheit zur Rast. Martin hatte an diesem Tag Geburtstag. Aus diesem Anlass spendierten Eric und Norbert dicke Stücken Schwarzwälder Kirschtorte. Und wir ließen uns nicht lumpen: einen Eisbecher für jeden gab‘s noch obendrauf.
Am Nachmittag wichen wir vom Westweg ab. Wir hatten uns entschlossen zum Wildsee hinabzusteigen. Ein Schild hatte uns vor dem Abstieg gewarnt. Der Pfad sei nur für trittsichere, geübte Wanderer geeignet. Wir stiegen in einen Bannwald hinab, einen Wald, den der Mensch sich selbst überlässt. So hatten wir etliche Male über umgestürzte Bäume zu klettern oder unter ihnen hindurch zu kriechen. Das war tatsächlich ein abenteuerlicher Weg, der sich zwischen moosbehangenen uralten Bäumen in Serpentinen in den Talkessel wand. Dann lag der Wildsee vor uns. Ein Paar rastete noch am sandigen Ufer. Doch als die beiden verschwunden waren, hatten wir den Talkessel den ganzen Abend für uns. Voller Entdeckerdrang umrundeten wir den urwüchsigen Wald am Seeufer, sammelten Pfifferlinge und große Steinpilze, füllten ein Koschi mit Blaubeeren. Aus den Zeltplanen hatten wir am Ufer einen Unterschlupf gebaut, davor ein wärmendes Feuer entfacht. In die Schlafsäcke eingemummelt genossen wir die Stille und Abgeschiedenheit dieses Ortes.
Bei Tagesanbruch folgten wir dem Abfluss des Sees ins Tal hinab. An der Schönmünz wuchsen wieder reichlich Brombeeren, die wir uns munden ließen. Bei der unkonventionellen Wanderroute, die wir manchmal über überwucherte Waldwege einschlugen, stolperten wir über riesige Steinpilze, die fürs Abendbrot sauber ins Kochgeschirr geschnitten wurden. Bis zum frühen Nachmittag hatten wir nach einem Weg aus dem langgestreckten Tal hinüber nach Baiersbronn gesucht. Bei der verspäteten Mittagsrast beschlossen wir es mit einem eigentlich als Sackgasse ausgeschriebenen Weg zu versuchen.
Wir zwängten uns durch ein Dickicht aus jungen Fichten, die den Weg zugewuchert hatten und standen plötzlich wieder auf einem markierten Weg. Dieser führte schnurstracks nach Baiersbronn hinab und bot als Lehrpfad noch unterhaltsame Stationen zur forstwirtschaftlichen Geschichte des Tales. Am rauschenden Tonbach drehte sich ein kleines Wasserrad. Ein ausgehöhlter Baumstamm führte ihm von einem seitlich herabplätschernden Zulauf das Wasser zu. Ein großer Teil des Wassers schwappte über den langen Baumstamm hinüber und prasselte in den Tonbach darunter. „Eine ideale Dusche, dachten wir uns. Hier bleiben wir die Nacht.“
Mancher Wanderer schaute dann etwas verdutzt vom Weg hinüber, als er uns in Unterhosen unter dem eiskalten „Wasserfall“ hindurchspringen sah. Uns machte die kühle Erfrischung zwar fröstelnd. Doch frisch gewaschen mundeten uns die Ravioli mit den am Tag gesammelten Steinpilzen noch vorzüglicher.
In Baiersbronn ließen wir uns in der Tourist-Info eine Rundtour empfehlen. Für unseren letzten Fahrtentag hätte es sich nicht mehr gelohnt, nochmal auf den Westweg zurückzukehren. Wir waren noch unschlüssig, ob wir das Gepäck auf die 13 km lange Tour mitnehmen sollten, klingelten dann doch am letzten Haus des Ortes. Eine sehr gute Entscheidung, wie sich noch herausstellen sollte. Ein netter Herr mit halbkahlen Lockenkopf zeigte uns gut gelaunt eine Ecke in der Garage, in der wir unser Gepäck abstellen durften und ließ uns vorm Start zu unserer Tour noch unsere Wasserflaschen füllen.
Ohne schweres Gepäck liefen wir behänd an den romantischen Sankenbachsee. Eine einzelne Ente schwomm auf dem Wasser. Als wir unser frisches Brot zur Mittagsmahlzeit anschnitten, kam der Vogel humpelnd aus dem See gewatschelt. „Die macht doch nur auf Mitleidstour, damit sie was abhaben kann“, mutmaßte Eric und warf ihr dennoch einige Krumen zu. Auch bei den zwei Wanderer, die auf der Bank nebenan rasteten, zog die Ente diese Masche ab und wurde abermals belohnt.
Über einen steilen, von Wurzeln durchkreuzten Pfad kletterten wir zu einer senkrechten Karwand hinauf, an der der 40 m hohe Sankenbach-Wasserfall über zwei Stufen zu Tal stürzte. Oberhalb der Steilwand konnte man den Bachlauf mit einem kleinen Wehr anstauen. So ließen wir den Wasserfall zu einem Rinnsal werden, um ihn mit Öffnen des Damms umso brausender zu Tal tosen zu lassen. Am Weg zur Glasmännlehütte sammelten wir Pfifferlinge, Birkenpilze und Maronen ein. Die schmucke Blockhütte thronte am oberen Ende eines Skihangs und bot deshalb von der Holzterrasse eine tolle Aussicht über Baiersbronn. Den Blick mussten wir eine Weile genießen. So schlürften wir Kakao oder Kaffee und leckten an einem Eis. Da stapften zwei schwer atmende Herren den steilen Weg unter uns hinauf. Weit hinter ihnen folgten weitere Kumpanen. Sie hatten auf dem Skihang einige Pilze entdeckt und fragten uns zur Bestimmung derselben um Rat. Norbert erteilte nach kurzem prüfenden Blick die Auskunft: „Das hier ist ein Satanspilz. Der ist giftig.“ Doch auch ein paar Maronen hatten sie mitgebracht. Davon sollten unten am Hang noch etliche stehen. „Die sammeln wir uns ein“, sagten wir zueinander.
Am Ortsrand von Baiersbronn wartete eine Überraschung auf uns. Der freundliche Herr, der unser Gepäck verwahrt hatte, lud uns ein seine Sauna zu nutzen. Die habe er schon angeheizt, erklärte er und führte uns ins Erdgeschoss seines Hauses. Er sei selbst einmal bei den Pfadfindern gewesen und habe zehn Jahre seines Lebens als Deutschlehrer in Lappland verbracht. Im Hinterhof öffnete er einen Brunnen. „Da könnt ihr zur Abkühlung hinuntersteigen“, kommentierte er, brachte frische Handtücher, Getränke und selbst gebackenes Holzofenbrot und überließ uns die Etage. Wir konnten die Gastfreundschaft kaum fassen, mussten vor Glückseligkeit immer wieder breit grinsen und den Kopf schütteln, während Eric ein paar Kellen des wohlriechenden, finnischen Tannenaufgusses auf den Saunaofen gab.
Nach zwei Stunden Wellness verabschiedeten wir uns und wanderten ein Stück außer Sichtweite der letzten Häuser. Am Talhang errichteten wir einen Unterschlupf und bereiteten überm Feuer Pilze und Pesto-Nudeln zu. Im Tal funkelten die Lichter des Ortes. So porentief rein hatten wir noch nie eine Fahrt beendet. Selig schlummerten wir ein.
Montag, 30. September 2013
Martin, Eric und Norbert auf der Hornisgrinde, dem höchsten Berg im Nordschwarzwald